Zweimal im Jahr fahren wir nach Engesohde. Ja, ich weiß, wir sollten eigentlich öfter. Aber das klappt einfach nicht, denn Engesohde ist nicht gerade 'umme Eck', sondern bedarf 20minütiger Autofahrt. Engesohde ist der große Friedhof am Maschsee und dort hat die Familie seit 1888 eine Grabstelle. Im Frühjahr und im Herbst wird sie von uns bepflanzt.
In diesem Jahr waren wir spät dran, irgendetwas passte immer nicht, Termine und das Wetter. Wer will schon bei Dauerregen ein Grab bepflanzen oder im Starkregen ... Die bewährten Knollenbegonien standen bereits parat, dieses Mal in einer gewagten dunkelrot-gelb Kombination - und dann kam der Hexenschuss und so standen sie noch etwas. Aber nun.
Im letzten Herbst waren wir von Mückenschwärmen überfallen worden, dagegen wappnete ich mich mit langen Ärmeln und Anti-Brumm. Und prompt stach mich etwas ins Handgelenk. Es ist eben ständig alles nass und die Böden sind dunkel und schwer und das trotz scheinender Sonne, die für eine Luftfeuchtigkeit sorgt, dass ich Moos ansetzen könnte. Wäre ich ein Baum.
Nach dem Pflanzen bummelten wir noch etwas, früh am Morgen war der Friedhof menschenleer bis auf uns. Da war der Goldener-Engel-Brunnen an der Wegekreuzung - die Schale noch immer verwaist seit gewissenlose Diebe Anfang letzten Jahres die schöne kleine vergoldete Brunnen-Figur geraubt haben. Vergoldeter Gips. Die Figur wurde, was viele offenbar gehofft hatten, nicht wiedergefunden oder gegen Lösegeld zurückgegeben. (Das gab es vor vielen Jahren mit der alten Sonnenuhr im Berggarten und vor gar nicht so vielen Jahren mit dem Leibnizkeks vor dem Bahlsen-Stammhaus.) Die Figur, die so verlässlich strahlend dort zwischen den Bäumen stand, fehlt mir. Ich kann verstehen, dass die Stadt zögert, eine neue aufzustellen, Wert immerhin 20.000 Euronen, aber trotzdem ... Wie kann man nur. Auf einem Friedhof stehlen ...
So liefen wir zum großen Wasserbecken, angelegt irgendwann zwischen 1913 und 1934 von Stadtgartendirektor Kube, mit den schönen Seerosen. Vor zwei Jahren noch standen große Buchskugeln links und rechts davon, vor jeder Grabstelle eine. Der Buchs ist verschwunden, die kleinen Buchskugeln auf unserer Grabstelle, von mir gepflanzt, übrigens auch. Zu dem Warum gab es keine Auskunft.
Die Grabstellen am Wasserbecken sind groß, die Grabsteine darauf wuchtig und riesig und teilweise fast Kunstwerke, die meisten stammen aus den 40er Jahren. Es war bestimmt teuer, dort eine Grabstelle zu erwerben, vermögend musste man sein und vielleicht auch der 'richtigen' Meinung. 'Fabrikant' steht auf einem der Steine, 'Bankdirektor' auf einem anderen. Zu steigern war das nur mit dem eigenen Mausoleum. Das der Familie Woltmann, von dem 'unser' Weg abgeht, wird seit einem Jahr restauriert und sieht inzwischen fast neu aus. Bei den meisten aber nagt die Zeit.
Rund ums Wasserbecken tummelten sich die Libellen - und die Mücken. So ganz ohne Stich kamen wir doch nicht davon.
Herr Woltmann war Geschäftsmann, Pferdehändler schreibt die Zeitung. Er und seine Frau und Kinder sind in dem 1918 fertiggestellten Mausoleum beigesetzt. 1982 gab es keine zahlungswilligen Nachfahren mehr, seitdem gehört es der Stadt Hannover und es verfiel, bis ein für die Öffentlichkeit anonymer Spender auftauchte, der die Restaurierung bezahlte - oder einen Teil davon. Als Gegenwert dürfen er und seine Familie sich später im Mausoleum beisetzen lassen, das ist als Investition in die Zukunft wirklich nicht zu verachten, denn die Erbbegräbnisse auf Engesohde sind teuer. Wir wissen das.
Der Bauzaun steht noch und die Tür fehlt, im Inneren ist noch nicht alles fertig, aber schon ist es schick geworden. Mit blauer Bemalung, restauriert und ergänzt. Das Mausoleum rechts daneben wartet auf einen Restaurierungs-Paten, nötig hat es ihn.