Bei einem Blick ins Fernsehprogramm wurde es mir bewusst: Es ist ja Tour de France, ach du meine Güte. Fast wäre es mir durchgegangen. Früher, also richtig früher, bevor wir Kinder hatten, da haben wir die Tour verfolgt. so wie wir Wimbledon verfolgt haben. Aber dann kamen die Doping-Dinge und all das und dann hatten wir keine Lust mehr auf den Radsport.
Aber manchmal, wenn die Tour durch die Provence führt, gucke ich doch. Nicht wegen der Radfahrer. Wegen der Landschaft. Wegen der Erinnerungen. Und der Sehnsucht.
Heute fuhr die Tour durch die Region Vaucluse, Herzöffner. Im Vaucluse liegen Avignon, Apt und Carpentras. Und Gordes. Und Roussillon. Und der Mont Ventoux. Irgendwo zwischen 1909 und 1912 Metern hoch, da widersprechen sich Angaben und Schilder, aber das ist bei der Höhe ja auch wurscht.
Auf dem Mont Ventoux war die Tour schon oft und viele ambitionierte Franzosen üben dort mit ihren Rennrädern. Heuer mussten die Tourradler gleich zweimal auf den Berg und dabei Aussicht genießen ging überhaupt nicht.
Ich zeige Euch meine Fotos vom Berg, umständehalber schon etwas älter, aber 'tant pis', es werden nicht die letzten bleiben. Wir waren mehr als einmal mit dem Auto auf dem Gipfel, das geht nämlich auch, problemlos. Und im Herbst. Da ist es kühler, die Sicht ist besser und der Gipfel wird nicht von fliegenden Händlern verschandelt.
Die Tour startete in Bédarrides, ein kleines Örtchen mit etwa 5000 Einwohnern, nördlich von Sorgues. In Sorgues fließt das Flüsschen Sorgue in einen anderen Fluss, die Ouvèze, und verliert so seinen Namen, vielleicht deshalb ist das Städtchen nach ihr benannt.
Dann ging es südöstlich nach Pernes-les-Fontaines, hübsch und malerisch mit unzähligen Brunnen. Und Isle-sur-la-Sorgue, der Ort der Antikhändler und -märkte, der vielen kleinen Wasserkanäle und großer Wasserräder. Dann kam das Dörflein Fontaine-de-Vaucluse, der Ort wo die stärkste Quelle Frankreichs entspringt, die Quelle, die die Sorgue werden lässt. Eine Diva, die im Hochsommer auch mal nur tröpfelt und dann steht man da und schaut in ein schwarzes Loch... Sie treibt das große Mühlenrad der Papiermühle an (das Angebot ist nicht billig, aber 'très chic') und den Touristenstrom.
Danach auf nach Gordes, das Dorf mit der atemberaubenden Aussicht vom Felsen, auf dem es gebaut wurde, hinunter über die Ebene. Und vom Felsen gegenüber auf das Dorf. Am höchsten Punkt steht das Schloss, bis Mitte der 1990er Jahre das Vasarély-Museum. Aber als ich es später meinen Kindern zeigen wollte, war da unerwartet NullKommaGarNichtsMehr von Vasarély. Nur Steinwände. Traurig war das. Dann Roussillon in den Farben des Ockers, Gargas zwischen Weinbergen und gleich daneben die Stadt Apt mit einem prima Wochenmarkt und vielen kandierten Früchten. Alles wunderbar. Aber beim Tourfernsehen sieht man fast nur Straßen und Räder und nur wenig von den Orten, vom Hubschrauber aus aufgenommene Draufsichten.
Über Saint-Saturnin-lès-Apt ging es nördlich weiter nach Sault, Hochgelegen. In die Lavendelfelder. Nirgendwo ist der Lavendel lavendeliger. Und von dort von Osten kommend auf den Berg Mont Ventoux, dieser Weg zum Gipfel ist nicht ganz so steil wie der von Bédoin aus, an der Waldgrenze vorbei am Chalet Reynard. Ein guter Platz für einen Café und eine Orangina, nochmal aufs Klo, im Sommer kann man auf der Terrasse sitzen und den Radfahrern im Tour-Training zuschauen wie sie vorbeikeuchen. Bis zum Gipfel. Gute 1900 Meter hoch. Die Rundumsicht ist atemberaubend.
Über die Nordseite die Serpentinenstraße bergab hinunter und westlich ging es nach Malaucène, ein typisches provenzalisches Städtchen, und Le Barroux, ein Dorf mit einem Schloss am höchsten Punkt, auch seehr provenzalisch, aber nicht so hübsch wie Gordes. Und von dort nach Bédoin am Südhang des Mont Ventoux. Von Bédoin führen 22 Kilometer Straße durch Weinberge und Wald und Nationalpark, landschaftlich wunderschön, aber steil mit einem Höhenunterschied von 1600 Metern, wieder auf den Gipfel. Da haben sie ganz schön gepustet und der ein oder andere konnte nicht mehr. Zum zweiten Mal Gipfel, nur um dann über die Nordseite des Berges wieder hinunterzurauschen, wieder nach Malaucène, aber dieses Mal, nach fünfeinhalb Stunden Radfahren, Etappenziel.
Ob die Tourfahrer von der Schönheit des Vaucluse auch nur einen Hauch gesehen haben?
Gewonnen hat die Etappe übrigens ein Belgier, einsam vorneweg.